Earendil
Spam-Queen-Moderatorin
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Endlich ist es soweit.
Ein paar von euch haben es bereits gelesen oder sind dabei, es zu tun. Da ich ohnehin gerade anfange, meine Werke zu veröffentlichen und im
www großes Trará darum mache, dachte ich, weil ihr alle so lieb seid, bekommt ihr als erstes mein 1. Buch Stück für Stück serviert. Damit
zwischendurch noch viel Platz für Diskussion, Kritik und Verbesserungsvorschläge ... natürlich auch Lob PLatz ist. Nicht erschrecken, ich
warne euch vor: einige Namen werden euch bekannt vorkommen
Viel Spaß jedenfalls damit!!!
P.S: Mein Künstlername ist Claire
Howard (aber bitte pssssst!! )
Hier zuerst das Vorwort:
Die Liebe der Göttin
oder:
Die Schülerin
von Atlantium
von Claire Howard
Für Melanie! Ohne ihre langen Aufsätze wäre das Buch nie entstanden!
Und für I Eithel Isto
und dessen Mitglieder, deren ich dieses Buch, als Dank für ihre Menschlichkeit und freundliche Aufnahme im Kreis der Mitglieder, widme!
Vorwort
Von elf bis dreizehn Jahren war ich völlig Herr der Ringe
vernarrt und liebte J.R.R. Tolkiens Werke von ganzem Herzen. Eines Tages ging mein Vater in den Müllkeller und fand einige Bücher, die noch
völlig neu waren. (Das war so eine Eigenschaft von ihm - dass er immer alles mitnehmen musste!) Darunter waren Tausend und eine Nacht und
die Nebel von Avalon. Einige Monate lag das Buch verstaubt in meinem überfüllten, weißen Antike-Regal, bis mich wieder der Lesedrang
erfasste. Ich nahm das Buch in die Hand, las den Buchrücken, die Informationen über die Autorin: Marion Zimmer Bradley, die mir zuvor nicht
bekannt war, und begann den Prolog zu lesen. Ich merkte sofort, dass das Buch etwas für meinen überaus geprägten Phantasiesinn geschaffen
war und entschied mich, es bis zum Ende durch zu lesen, ganz gleich welche Meinung ich darüber besaß. Obwohl das Buch mir sündhaft dem
Christentum gegenüber erschien und ich streng katholisch erzogen war, regelmäßig in die Kirche und zur Beichte ging, fand ich die Kontra
Argumente durchaus zutreffend. Ich erschrak über meine eigenen Gedanken und legte das schwere Buch, 1117 Seiten, erst einmal weg. Ich
wollte mir noch einiges Hintergrundwissen über das Heidentum beschaffen, um welches es in dem Buch ging. Ich fand heraus, dass es eine
allgemein verbreitete Religion war, doch nach der Christianisierung aus den Herzen der Menschen verschwand.
Mit 14 Jahren war ich
bereits so weit gekommen, dass ich ein großer Fan der „Queen of Fantasy“ war. Ich legte mir die anderen Bänder von Marion Zimmer Bradley
zu und besorgte mir auch Bücher über „die Kelten“, „die Germanen“ oder „das Heidentum“, natürlich nur aus reiner Neugier... .
Doch als sich
die Situation in der Familie immer mehr zuspitzte, die Streitigkeiten mit meiner Schwester Anna eskalierten, und ich fühlte, wie die Welt in
Wandel geriet, spürte ich auch meinen inneren Wandel Anfangs hatte ich lediglich nur ein Korallenkreuz, welches ich als sogenanntes
„Dreifaltigkeitskreuz“ bezeichnete, denn ich bat die Göttin, den christlichen Gott und Maria, die Mutter Gottes um Hilfe für mein Problem in der
Familie. Ich weiß selbst heute nicht, was damals schief gelaufen ist, jedoch wurde mein Vater Daniel immer brutaler, meine Mutter Johanna
immer hysterischer, meine erste Schwester immer ruhiger und meine zweite Schwester immer krimineller. Zu meinem viel älteren Halbbruder
Jonas, der Sohn meines Vaters aus seiner ersten Ehe, hatte ich noch nie Kontakt gehabt und meine große Schwester kapselte sich ebenfalls
immer mehr von uns ab, um den ganzen Stress nicht ertragen zu müssen, dabei ertrugen wir uns selber nicht mehr...das war auch der Grund für
den Wandel. Ich verlor mein Vertrauen in den christlichen Glauben, vor allem in die katholische Kirche. Dennoch kam ich nicht mehr drum
herum, dass ich römisch - katholisch getauft und mehr oder weniger freiwillig zur Kommunion gegangen bin. Doch was sollte ich schon im Alter
von 10 Jahren machen? Ich kannte zu jener Zeit weder das Heidentum, noch andere Religionen, außer vielleicht das Judentum, den Buddhismus
und den Islam, doch jene waren eher uninteressante Dinge auf dem anderen Ende der Welt für mich.
Neben all dem ganzen
Glaubenshokuspokus blieb ich selbstverständlich meinem Mittelerde und dem Traum von Neuseeland treu. Zwar stand das derweil nur im
Hintergrund, aber es wurde aus dem Langzeitgedächtnis heraus gekramt und wieder mit viel Interesse und neuen Informationen aufgefrischt.
Ich sehnte mich nach dem ersten Teil der Trilogie, da ich mir die Special Ectended Edition des dritten Teils gekauft hatte. Dann kam um Ostern
herum „die Gefährten“ im Fernsehen und ich nahm ihn mir auf Video auf. Dabei entstand ein heftiger Streit mit meiner Oma. Mit der Spannung
stieg auch wieder mein besessenes Gefühl und ich hockte Tag und (wie mein Vater oft sagte auch nachts) am Computer im Internet und surfte
durch all mögliche Herr der Ringe-fan-Pages. Bis ich auf die Idee kam, mir eine eigene Homepage über Mittelerde zu errichten, was ich dann
auch tat, jedoch erstarb sie nach nur einigen Monaten und das Heidentum zwang sich meinem Gedächtnis wieder auf. In einem sogenannte
Tolkien-Forum, wo ich anfangs ziemlich aufdringliche Beiträge verfasste, kam der gebrauchte Gedankenschub für mein Gewissen und ich fühlte
die plötzliche Magie, die in mir möglich war. Als ich dann schließlich täglich in dem Forum war und mit vollen Gefühlen mich engagierte, machte
ich eine angenehme Bekanntschaft. Ihr Nickname war Tinduriel, ein elbischer Name von Mittelerde natürlich (meiner war übrigens Êarendil). Nur
flüchtig kamen wir uns näher, doch wusste ich zu der damaligen Zeit noch nicht, welche Rolle sie in meinem späteren Leben spielen sollte, da
ich noch ziemlich sehr an den Dingen von Sünde, Verzeihen und Gewissenhaftigkeit hing. Durch einen urplötzlichen Themausschwang, kam der
Glaube ins Gespräch und ich konnte meinen Zweifeln freien Lauf lassen. Auf einen Verweis auf ein früheres, bereits abgeschlossenes Thema,
kam ich zu dem Thread: Lebensgeschichten.
Die einzige, die eine wirkliche Lebensgeschichte schildern konnte, war Tinduriel, da sie bereits
erwachsen war und allerlei erlebt hatte:
Ich machte mich auf der Stelle daran, Demeter, alias Tinduriel, eine Email zu schreiben, welche
meine damaligen Gefühle dem Christentum gegenüber beinhalteten. Sie antwortete mir den Tag darauf. In einer dreiseitigen Email, welche ich
mir ausdruckte, gab sie ihr Einverständnis, mich übers Netz den Heidentum zu lehren. Ich war mächtig stolz und gestand mir selber ein, auch
ein wenig verlegen.
Die Lehren des Heidentums gingen bis zum Anfang Februar. Das Fest Imbolc wird als Neujahrsfest dargestellt und als
das Erwachen der Natur. Es war die Zeit der Erneuerung und der Reinigung. An dem Tag durchschritt ich mein erstes selbst erstelltes Ritual für
das neue Jahr. Stolz und glücklich spürte ich nur wenige Tage darauf die Veränderung, die allmählich meinen Körper wie heißes Feuer
durchflutete. An diesem besagten Tag schrieb Demeter mir, dass sie es für besser hielt, erst einmal eine Pause einzulegen. Dies sollte
bewirken, dass ich auf eigenem Wege den Weg zu mir selbst fand.
Also unterbrachen wir unseren Informationsaustausch und ich begab
mich abermals in die Bücherei, um so vieles wie möglich zu meinen Kriterien heraus zu bekommen. Mit dem Schwerpunkt auf keltischen,
druidischen und römischen Göttern basierend kam ich mit dreißig Büchern zurück, welche ich mir alle kopieren ließ, nur um die Informationen zu
erhalten, die diese Bücher von sich gaben. Anfangs war ich noch auf unsicherem Pfade, doch die Göttin geleitete mich selbst noch in der
Zivilisation auf sicherem Weg. So nahm ich immer mehr Abstand zu den schulischen Leistungen und umwarb meinem Interesse ausschließlich
dem Götterhimmel - sei es drum, dass ich nur Demeter stolz machen wollte. Ich „verbannte“ (was soviel bedeutete, wie „entschuldigen“) mich
aus dem Forum und ging auch weiterhin nicht mehr ins Internet...zum größten Staunen meiner Eltern, besonders meines Vaters.
Am
Valentinstag, den 14. Februar, bekam ich ein Liebesgeständnis von Leo, den ich seit meiner Grundschule unsterblich liebte(zu der Zeit war ich
in der neunten Klasse). Doch selbst das bekümmerte mich kaum. Ich vergaß ihn schließlich und ließ ihn ohne Antwort auf eine Frage warten.
Zufällig, durch ein Referat für die Schule, musste ich dann doch ins Internet. Da ich sonst nichts zu tun hatte, außer die Bücher
durchzuarbeiten, welche ich schon dreimal verlängert hatte, durchsuchte ich meine Emails. Ein völlig überfüllter Posteingang versperrte mir die
Sicht und ich war schließlich gezwungen Werbung, Spam, Bulk oder Uninteressantes zu löschen. Beinahe hätte ich sie gelöscht...eine Nachricht
von Demeter! Überglücklich las ich die Nachricht, welche diesmal die Anzahl von 5 Seiten betrug, als ich sie ausdruckte. Sie wollte wissen, ob
ich bereits mit der Wiederaufnahme des Kontakts bereit wäre. Selbstverständlich sagte ich ihr sofort zu, doch dieses Mal sollten wir uns auf
persönliche Weise kennen lernen. Sie schickte mir eine Internetadresse, auf welcher ich Zeichen im Mond lesen konnte. „Noé Astro“ lautete der
Name der offiziellen Homepage. Sofort fuhr ich mit der Maus über das Wort „Krebs“ und ließ den Steckbrief über den Krebs-Mond-
Typ:
Herrscherplanet: Mond
Element: Wasser
Eigenschaft: bewegend
Prinzip: Fruchtbarkeit
Pol: weiblich
Farben: beige,
Silber, wässrige Farben
Stärken: Sensibilität, Empfänglichkeit
Schwächen: Launenhaftigkeit, nachtragend
Ziemlich interessiert las
ich den Steckbrief zu Ende und fragte mich schließlich, weshalb Demeter mir diese Adresse geschickt hatte? Ich bedankte mich bei ihr und
fragte sie schließlich nach den Gründen.
Den Tag darauf berichtete sie mir, sie sei Stier und habe ähnliche Eigenschaften wie ich. Da sie
nicht an Zufälle glaubte, schrieb sie außerdem, dass sie dachte, unsere beiden Schicksale seien miteinander verbunden. Ich fühlte mich sehr
geehrt und erzählte ihr in meiner Antwort über alltägliche Dinge, wie meine Tagesabläufe, Lieblingsunternehmungen, meine Liebe zur Natur etc.
...
An Neumond, am 27. Februar, machte sie mich telefonisch mit ihrer Tochter bekannt, jene war in meinem Alter. (Wir hatten zuvor unsere
Telefonnummern ausgetauscht!) Ich hätte nie gedacht, dass Demeter bereits eine so große Tochter haben könnte, schließlich, so fand ich, war
das Alter von vierzehn schon ziemlich alt für eine so junge Frau. Demeter war wahrhaftig nicht älter als 25 Jahre.
Ich glaube jene
Bekanntschaft mit Maron (so lautete der Name Demeters Tochter) damals sollte eine Art Prüfung sein, eine Prüfung, ob ich so reif bin, wie ich
immer behauptete und, zu nicht all zu großer Verwunderndheit bestand ich die Prüfung und Tinduriel machte mir vier Monate später ein
Angebot:
In den Sommerferien durfte ich, wenn ich wollte, zu Besuch nach Ostfriesland kommen und dort bei ihr und ihrer Familie meinen
Urlaub verbringen. Sofort machte ich meiner Mutter den Vorschlag, wo ich sonst gezögert hätte, denn dieses Jahr wollte meine Familie nach
Norditalien, wo ich kein großes Interesse hegte. Mein Vater jedoch bestand darauf, sofern ich keine andere Möglichkeit gefunden hatte...nun
hatte ich sie gefunden und trug sie stolz meiner Mutter vor.
Mit sofortiger Einverständnis meines Elternteils rief ich Demeter an und übergab
den Hörer an meine Mutter, die ungefähr zwei Stunden mit ihr telefonierte. Ich war völlig aufgeregt, mein Blutdruck stieg, ich bekam Atemnot!
Doch die Spannung löste sich in eine einfältige Einverständniserklärung auf einem weißen Blatt Papier auf. Verwundert stocherte ich nach einer
Begründung der Tat und bekam nur kurzes Gerede von wegen „wir wollen, dass du glücklich bist“. Ich fragte, wann ich denn fuhr und als sie
antwortete, dass ich nur wenige Tage darauf abfahren sollte, erhielt ich fast einen Herzinfarkt, doch ich war überglücklich und machte mich
drauf und dran meine Tasche für die ganzen sechs Wochen zu packen.
Die letzten Vorbereitungen für meine Abwesenheit waren erledigt
und im Tolkien - Forum hatte ich mich ebenfalls in „Verbannung“ eingetragen. Mit dem Grund einer Reise nach Ostfriesland.
Natürlich war
mir damals noch nicht bewusst, welche Veränderungen auf mich stoßen würden, aber ich spürte, dass es ein entscheidender Schritt zu einem
glücklicherem Leben war. Natürlich war mir eine Welt außerhalb dieser menschlich, zivilisierten nicht bekannt. Das wollte ich mir selbst nicht in
meinen kühnsten Träumen vorstellen. Doch was wäre, wenn ich schon damals von den abseits, außerhalb der Zivilisation lebenden Völkern
gewusst hätte? Ich denke...ich hätte genau so gehandelt!
Ich, Clara alias Êarendil, würde nun endlich meinen lang ersehnten Traum von
fernen Ländern beginnen zu leben!
__________________
"Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
--- Reinhold Niebuhr---
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27.08.2007 14:46 |
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Earendil
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Hier nun das 1. Kapitel:
Erstes Kapitel
Ankunft in Atlantium
Mit
pochendem Herzen und Seitenstichen, als wäre ich tatsächlich die ganze Zeit gerannt und nicht nur im Traum, wachte ich in meinem Bett auf.
Ich konnte es kaum glauben! Heute würde ich nach Ostfriesland, zu Demeter, Maron und Konstantin (den Mann von Demeter), fahren. Ich
blickte auf meine Handyuhr, die 6:00 Uhr besagte, und stand auf, um mich anzukleiden. Tinduriel hatte in ihrer letzten Mail ziemlich seltsame
Fragen gestellt und auch ungewöhnliche Aussagen gemacht z.B. ich solle keine Kleidung mitnehmen, sondern nur Unterwäsche. Auch keine
Bettbezüge, Handtücher oder Solches, denn es gäbe alles dort. Ich war schon höchst verwundert und fragte mich, was das wohl zu bedeuten
hatte. Vielleicht, dachte ich mir, haben Maron und ich die selben Größen und Tinduriel hat noch einige Kleider von ihr über. Denn nur die Fragen
davor beinhalteten, was für Kleiderarten ich gern habe, welche Art von Mode ich bevorzuge und Ähnliches. Ich kannte mich in jenen Dingen nicht
besonders gut aus, deshalb nannte ich ihr einfach Filme, in denen solche Kleider getragen wurden.
Um sieben Uhr stand der Rest der
Familie auf, denn mein Zug würde um 8:33 Uhr fahren und niemand wollte, dass ich zu spät kam. Also frühstückten wir noch gemütlich
miteinander. Wie täglich kam auch dieses Mal Streit auf, doch wenn ich damals schon gewusst hätte, dass dies unser letztes gemeinsames
Essen war, hätte ich niemals derart heftig reagiert...
Zeitgleich mit Litha, Sommersonnenwende, kam ich in der Zeit des Wachstums im
Hauptbahnhof an. Ich kannte die Frauen („Mädels“) von Fotos aus dem Forum - Konstantin nur vom Hören her - und konnte sie daher sofort auf
dem kleinen, abgelegenem Bahnhof erkennen. Der Dampf des Zuges blies ein letzten „Zischt“ aus und fuhr dann lauthals aus dem Bahnhof
„Borkum“. Nach nur fünf Minuten war lediglich ein schwarzer dunkler Fleck in der Ferne zu sehen, den ich vor Pein minutenlang betrachtete, nur
um nicht auf meine Gastgeber zugehen zu müssen. Doch da kam ich jetzt nicht drum herum - und schließlich ging ich auf die drei in höchst
ungewöhnlich eingekleideten Menschen zu. Ja, dachte ich, als sie sich um drehte, Demeter sieht ihrem Alter entsprechend aus. Konstantin
schätzte ich um die Dreißig und Maron sah ihrer Mutter so ähnlich, dass es mir fast den Atem verschlug. Die dunklen Haare fielen Beiden um die
weiblichen Schultern und flatterten unter den schlanken Armen hindurch, als sie zeitgleich die Arme zu Begrüßung hoben. Lachend begrüßte ich
Tinduriel als erstes und bedankte mich bei ihr im Voraus. Marons Lächeln ließ meine letzten Anzeichen der Unsicherheit verschwinden und
selbstbewusst begrüßte ich auch die Tochter. Sie kam mit ihrem schwarzen Schopf meinem Gesicht immer näher und berührte mich mit ihren
weichen Wangenknochen an meinen hochroten Gesichtseiten. Verlegen begrüßte ich mich, wie von selbst, mit einem Knicks vor Konstantin, der
seine starke Hand unter mein gebeugtes Kinn schob, mich hochzog und mich mit einem starken Händedruckes willkommen hieß.
Sie
geleiteten mich in eine sehr alt aussehende Pferdekutsche mit zwei braunen Arabern vorne dran und setzten sich links, rechts und gegenüber
von mir hin. Langsam fragte ich mich, was für Überraschungen noch auf mich warten würden und ließ meine Blicke über Tinduriels Kleider
schweifen. Eine lange weiße Robe mit weiten weißen Fee-Ärmeln. Das Kleid reichte ihr bis auf die Knochen und sah sehr neu aus. Hatte sie es
nur für mich angelegt? Fragte ich mich damals ziemlich eingebildet, wie mir erst heute bewusst ist. Um ihre Hüfte trug Demeter eine rote
Schärpe, die sich ziemlich weit auseinander gehend, hinten zusammenband. Normalerweise kannte ich solche Kleider nur, die dann eng an der
Hüfte lagen und zu einer Schleife gebunden wären. Diese Schärpe hing locker um ihre Hüfte und war mit nur zwei Nadeln an den Seiten ihres
Beckens befestigt, welche dazu beitrugen, dass die feuerroten Bänder links und rechts einfach hinunter hingen. Es konnte nicht daran legen,
dass Demeter zu dick war, denn sie hatte eine sehr schlanke, jedoch gesunde Figur und die Bänder wären lang genug für eine Schleife gewesen.
Um ihren Hals trug Tinduriel eine Bernsteinkette, die allerdings so alt aussah, dass ich mich fast schämte so jung zu sein. Zwar sah man ihr an,
dass sie gepflegt und geschont worden ist, doch an dem weißen Stoffband, welches die Bernsteine beieinander hielt, sah man das Alter der
anscheinend wertvollen Kette an. An den enden franste sich der dünne Stoff auseinander und ließ schon Fäden entdecken. Demeters helle
Augen waren sehr merkwürdig neben dem fast schwarzen Haar, welches man nur als braun identifizieren konnte, wenn Sonne sich darauf wieder
spiegelte. Das Blau aus ihrem Augen war so kristallklar, dass man die macht, die von dieser Person ausging nur spüren konnte. Ich weiß nicht,
was mich so irritierte, aber ich hätte damals nie geglaubt, dass Tinduriel so eine wichtige Hauptrolle in meinem späteren Leben ergreifen
würde.
Rechts von mir saß Maron, die immer fort lächelnd ihre strahlend weißen Zähne entblößte. In ihrem druidischen Gewand in weiß und
ihrem dunklen Umhang darüber sah sie fast so aus, als würde sie etwas verstecken wollen. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter vielleicht, aber ich
sah den einzigen Unterschied zwischen den beiden Frauen schon auf dieser ersten Fahrt mit ihnen.
Demeter war eine herrschende Person,
das bemerkte ich sofort, und Maron war auf eine seltsame Art anders als ihre Mutter. Eventuell lag es an dem gemischten Blut mit ihrem Vater,
aber selbst er war anders als Maron...was ist bloß mit ihr? Fragte ich mich immer wieder auf dieser Fahrt und versuchte so unauffällig wie
möglich Maron von der Seite her zu betrachten. So plötzlich wie ein Blitz kam der Gedanke, dass Maron hier unglücklich sei? Aber nein, dachte
ich schon wieder und legte den Gedanken so schnell wie ich ihn aufnahm wieder beiseite.
Durch den Ruf des Kutschers hielten die
galoppierenden Pferde an und ich stand vor einem Haus, welches ich noch nie dergleichen gesehen hatte und auch danach nie sehen würde. Das
Gebäude war nicht besonders hoch und ragte höchstens drei Stockwerke in die Höhe, zusätzlich ein Dachgeschoss.
Glasklare doppelte
Fensterscheiben, alle bedeckt von weißen Gardinen, die aussahen als seien sie aus Nebel. Keinen einzigen Blick konnte man hindurch werfen.
Umgeben war das Glas von dunkelbraunen Fensterläden, die aus Holz waren und in der Mitte jeweils ein Zeichen trugen, welches wie ein
Wappen aussah. Eine Art Mondsichel und noch etwas, was ich nicht erkennen konnte. Vielleicht, so dachte ich, ist es ein
Familienwappen.
Ich konnte mich der Fassade des Gebäudes nicht länger widmen, denn Maron sprach mich an:
„Hast du großen Hunger?
Abendessen gibt es um 7 Uhr. Aber nur heute, weil dein Zug so spät gekommen ist“, sagte sie und schmunzelte mich an. Ich schenkte ihr ein
Lächeln und nahm Demeter meine Reisetasche ab, welche wiederum in Marons Hände gelangten. Ich bedankte mich und ging hinter Konstantin
in das, von innen riesig wirkende, Haus hinein. Als erstes führte ein kleiner runder Flur in die verschiedenen Räumlichkeiten. Links ging es zu
der Küche und den Kellertüren, wie ich auf den ersten Blick bemerkte.
„Dort geht es ein Stockwerk höher in die einzelnen Zimmer von uns
allen“ , sagte Maron und zeigte mit ihrem Finger in den linken Türbogen.
Ich wunderte mich sehr über ihre Ausdrucksweise, die immer
fröhlich klang. Was soll denn „von uns allen“ bedeuten? Fragte ich mich und folgte dem Trio gerade aus. Tinduriel erklärte, dass es hier
regelmäßige Schüler gab, die ihre Ausbildungen machen.
„Ist jemand von euch Privatlehrer?“, fragte ich neugierig und ernst
gemeint.
Maron unterdrückte nur mit Mühe einen Lachanfall, Konstantin lachte lauthals los und Tinduriel zog eine Augenbraue
hoch.
„Kannst du dir denn immer noch nicht denken, wo du hier gelandet bist?“ , fragte sie mich und blickte mich an, als könnte sie meine
Antwort auf der Seele lesen.
Jetzt, wo sie es sagte, begriff ich langsam. Tinduriel wusste deshalb so viel über das Heidentum, nicht weil sie
selber Heidin ist, wie ich dachte, dass das der Grund sei, sondern weil sie eine Art Lehrerin für junge Mädchen in meinem Alter war. Doch das
war nur die halbe Wahrheit. Tinduriel geleitete mich zu einem kleinen eckigen Essenstisch, während Konstantin mit Maron rechts von mir
verschwanden, und begann zu erzählen:
„Vor ungefähr 100 Jahren kam meine Großmutter Maskia hier nach Ostfriesland, als es hier noch von
Hexen und Heiden heimlicher Wandlung wimmelte. Sie setzte sich hier nieder und baute sich eine kleine Hütte in der Nähe des Meeres. Die
Nordsee war zu jener zeit noch für ihre lauter kleinen Inselbuchten bekannt. An einem 1. Mai, den wir als Beltane bezeichnen, saß sie auf
einem Felsen und blickte sich den Sonnenuntergang an, als sie etwas graues und schwarzes aufsteigen sah. Borkum feierte noch das insgeheim
angebliche Fest der Vergangenheit. Sie nahm sich ein Boot und fuhr auf den schwarzen Rauch zu, der immer näher kam. Als sie auf der Insel
ankam, erlebte sie ein fest voller Liebe und Vereinigung. Sie vergaß alles auf der anderen Seite und ließ sich in Borkum nieder. Anfangs baute
sie nur ein kleines Häuschen, zusammen mit meinem Großvater Dimitros. Dann erfuhr meine Großmutter, dass sie schwanger war und brachte
meine Mutter auf einem völlig von der Zivilisation abgeschiedenen Insel auf die Welt. Meine Großeltern wollten meiner Mutter, Dementer, von
der ich auch meinem Namen habe, ein sicheres und glückliches zu Hause bieten. Also holten sie sich alle Männer, die sie kriegen konnten, und
bauten ein so, für die damalige zeit, prächtiges Haus, dass alle darin wohnen wollten. Den Erschaffern des Werkes, ließ meine Großmutter
natürlich Eintritt, als Belohnung sozusagen. Alle andere, die dort leben wollten, musste vorerst eine Prüfung ablegen, ob sie auch wirklich der
Göttin geweiht sein können. Als die ersten bestandenen einzogen, ließ meine Großmutter Reiter in alle Himmelsrichtungen ausschicken, die in
Kräuterkunde, Geschichte und Sprachgebrauch gelehrt sind. All die Gefundenen wurden als Lehrer eingestellt und bekamen als Lohn, warme
Mahlzeiten und ein eigenes Zimmer in dem Gebäude. Als die ersten Mädchen im Alter von vier Jahren dann kamen, kamen auch die ersten
Probleme. Einige Kinder waren nicht dazu bereit die Dinge zu lernen, die ihnen gelehrt werden sollten. Es gab Streike und lauthals
Auseinandersetzungen, was dann schließlich zum Bürgerkrieg führte und alle, die von der Regierung gefunden wurden, sollten als Hexe auf dem
Scheiterhaufen verbrannt werden. Meine Großmutter konnte mit meiner Mom fliehen, doch mein Großvater konnte sich nicht von dem Haus
trennen und wurde schließlich zum Tode verurteilt.“
Tinduriel stockte und atmete tief durch. Sie ließ es sich nicht anmerken, aber ich spürte
die Trauer, die bis zu mir gelangte und senkte den Kopf. Sie fuhr nach kurzem Schweigen fort:
„Es heißt, dass ein Zauber über diesem Hause
schwebt und es kann weder abgerissen, noch verbrannt werden. In einer Schriftrolle, die meine Mutter aufzeichnete, wird geschrieben, dass
uralte Magie die Grundmauern beschütze, damit der Glaube an die Göttin niemals verloren geht. Als die Hexenverbrennungen dann nachließen,
wagte meine Großmutter schon im mittleren Alter nach Borkum zurück zu kehren. Das Haus stand noch, wie sie es nie bezweifelte und einzelne
alte Frauen waren auch zurückgekehrt, um ihr zu helfen, ihr Schicksal zu vollenden. Als meine Mutter erwachsen wurde, brach das Fieber auf
Borkum auf und Großmutter starb. Sie konnte nie glücklichere Tage ihres zu Hauses sehen, aber sie kannte die Prophezeiung ihrer Tochter und
wusste, dass sie den richtigen Pfad einlenken würde. Das tat sie auch und gründete eine geheime Gemeinschaft für junge Mädchen ab elf
Jahren. Sie selbst heiratete meinen Vater Alexander und gebar mich im Alter von 25. Ich wuchs ziemlich schnell hier auf und fühlte mich immer
wohl. Doch als meine Mutter starb, gab ich der Göttin die Schuld daran und verließ mein geliebtes zu Hause. Erst durch Konstantin gewann ich
an Verstand und Vertrauen zurück und kehrte mit ihm und schwanger hier her zurück.“
Ich saß noch lange da und überdachte die Geschichte,
die Tinduriel mir eben erzählt hatte. Ich schenkte ihr Glauben, denn sie würde niemals lügen und setzte eine andere Miene auf, um Tinduriel
aus ihren Träumen zurück zu holen. Außerdem, welchen Grund sollte sie gehabt haben, sich das nur auszudenken? Sie lächelte mich an und ich
verstand, dass es ihr viel bedeutet, dass ich sie verstehe. Zusammen gingen wir in die Küche und sie machte mir die Köchinnen bekannt, die
jeweils zu zwei an riesigen Kochtöpfen am Kachelofen standen. Ich hatte so viele Fragen in nur kurzer zeit, dass ich mit einem Stottern anfing.
Ich holte Luft und fing an:
„Wieso trägt ihr die Kleider aus den vergangenen Jahrhunderten?“
Tinduriel erklärte mir, dass ihre Vorfahren
alle diese Kleider lediglich zu den Ritualen trugen, doch sie fand, dass die mittelalterliche Mode besser zu der Umgebung passte, wo ich ganz
einer Meinung mit ihr war, obwohl ich außer dem Mittelalter auch druidische, keltische, römische und phantasievolle Kleider gesichtet hatte. Die
nächste Frage stellte ich ihr, während wir langsam nach unten, in die Keller gingen:
„Weshalb heizt ihr mit Kachelöfen und nicht mit Gas
oder Strom?“
Die Antwort lautete wie bei der letzten Frage. Alle Fragen beinhalteten die Existenz altmodischer Dinge und alle Fragen wurden
auf dieselbe Weise beantwortet. Ich fühlte mich auch viel wohler in der alten zeit, als wenn ich, so wie zu hause, mit Internet, Telefon,
Fernseher, Radio und alle dem konfrontiert werden würde.
In den Kellern war es ungewöhnlich kalt und auch ziemlich feucht. Tinduriel zeigte
mir den Wein und die andern Ernten, die sie anbauten. Anschließend gingen wir noch in die Aufenthaltsräume. Im unteren Geschoss. Im ersten
Obergeschoss waren, wie Maron schon sagte, die Zimmer der Schülerinnen und bald würde ich eine von ihnen sein!
Da ich gleich an meinem
ersten Tag erfahren hatte, wo ich hier wirklich gelandet war, versuchten die drei und ich uns erst einmal kennen zu lernen. Ich teilte mir ein
geräumiges Zimmer mit Maron, da es üblich war, dass sich immer zwei Schüler ein Zimmer teilten. Mit Tinduriel vereinbarte ich eine Woche
Probezeit, in der ich Zeit hatte mich einzuleben, mich vorzubereiten und vor allem mich selber kennen zu lernen.
In den ersten zwei Tagen
zeigte mir Maron die nahe Umgebung, samt der Nordsee und ihrem Watt. Wir gingen zusammen schwimmen, ritten Wanderwege entlang, (das
Reiten war seither eine große Leidenschaft für mich) und saßen einfach nur im Haus und erzählten uns alle Geschichten aus der Vergangenheit.
Am dritten Tage war ich als erste wach und konnte nicht mehr einschlafen. Also schnappte ich mir etwas zum Überziehen und ging draußen
etwas spazieren. Ich berechnete eine halbe Stunde, um das ganze Haus wirklich zu umranden. Als ich schon fast wieder am Eingang war,
entdeckte ich eine Tür, die ein wenig kleiner als das Portal war. Ich drückte die Klinke hinunter und...siehe da!...sie war offen. Ich sah mich
nach Beobachtern um und schlüpfte heimlich hinein. Als ich drinnen war, schloss ich sie schnell wieder und stieg die steile Steintreppe hinunter.
Das Gelände war lediglich eine einzige Eisenstange, die an der oberen Wand befestigt war, und an der Treppe entlang im Boden verschwand.
Unten angekommen führte nur ein Weg geradeaus, den ich beschritt. Es war nicht dunkel, denn das Mondlicht schien durch ein kleines sauberes
Fenster hindurch. Ich fragte mich, wohin das noch führen sollte, denn es war weder Staub, noch Dreck zusehen, fast wenn jemand in diesem
Untergrund leben würde. Plötzlich stieß ich gegen etwas mit dem Fuß und es machte ein lautes Scheppern, welches von plötzlichem
Hundegebell übertönt wurde. Es gab ein zischendes Geräusch, als würde jemand den Hund zur Stille bringen wollen. Ich ging vorsichtig um die
Ecke und stand mitten in einem wohligem Raum, der mit roten Teppichen an der Wand verziert wurde. Außerdem standen überall dunkelbraune
Holzregale, die von geordneten Büchern auf und ab gefüllt waren. In der Mitte stand ein großer dunkler Schreibtisch, der von einer
Petroleumlampe und einer Kerze beladen war. Mehr konnte ich nicht sehen, da ein stark gebauter Körper mir die Sicht versperrte. Neben dem
alternden Herr saß ein weißer junger Hund, der mich neugierig beäugte. Der alte Mann drehte sich um und sah mir geradewegs in die Augen. Ich
erschrak unter dem Ernst des Blickes und zuckte zusammen.
Ich stotterte bloß: „Verzeihung...“
und ging schnurstracks um die Ecke zum
Ausgang. Dabei stolperte ich wiederum über den silbernen Eimer und es schepperte wieder lauthals. Ich rief noch eine Entschuldigung um die
Ecke und ging vorsichtig zu Tür, als ich plötzlich einen Blick im Nacken spürte. Ich drehte mich sofort um und sah dem Hundebesitzer schon
wieder geradewegs in die Augen. Unsere Blicke begegneten sich abermals und ich schlug meine Lider nieder, als ich spürte, dass meine Augen
bereits wässrig wurden. Ich hatte meine Hand bereits auf der Türklinke, als der Mann seine tiefe weise Sprache verhallen ließ.
„Möchtest du
mir nicht sagen, wer du bist?“
Ich drehte mich um, ging die Treppen wieder hinunter, gab dem Mann die Hand und stellte mich vor:
„Ich
bin Clara, oder auch Earendil und komme aus Berlin. Ich bin eine Freundin von Tinduriel, Maron und auch...ja...zum Teil auch von Konstantin.
Ich bin derzeit in der Probezeit und werde mich höchstwahrscheinlich zur Priesterin ausbilden lassen.“
Er sah mich immer noch an, als wäre
ich eine Diebin. Erst als der kleine Hund mit dem Schwanz wedelnd auf mich zu kam und sich streicheln ließ, gab er seinem Herz einen Ruck und
hieß mich in seiner bescheidenen Behausung willkommen. Er bot mir von Keksen bis Tee alles Mögliche an, doch ich lehnte ab, da es
wahrscheinlich bald Frühstück gab. Der Hund sprang auf meinen Schoß. Ich musste lachen, als er immer wieder versuchte seinen kleinen Kopf
bis zu meinem Gesicht zu strecken, um mich zu lecken.
„Er heißt Eldros!“ , sagte der alte Mann und schaute etwas eifersüchtig drein.
Anschließend sah ich mich in der Art von Bibliothek um und erhaschte hier und da bekannte Namen, wie Römer oder Kelten. Ansonsten
verstand ich gar nichts von dem, was niedergeschrieben war. Der Mann begann sich vorzustellen und ich lauschte aufmerksam seinen
Worten:
„ Mein Name ist Julius, doch die Meisten hier nennen mich einfach nur „Gelehrter“.“
Ich erschrak bei der Heftigkeit seiner Worte
und munterte ihn auf:
„Ich finde Julius ist ein sehr schöner Name, und möchte euch gerne so nennen, wenn ihr gestattet, mein Herr!
“
Jetzt war Julius dran, sich zu erschrecken und zwar über meine noble Ausdrucksweise, die ich aus all den Jahren des Lesens hatte. Ich
setzte mich mit ihm zusammen an einen Kamin und er erzählte mir allerlei. Wahrscheinlich säße ich noch bis zum Abend auf dem Hocker, aber
die ersten Sonnenstrahlen wärmten mein blasses Gesicht und ich verabschiedete mich von Julius und Eldros und versprach, bald wieder zu
kommen.
Wieder im Haus angekommen, saßen bereits alle am gedeckten Frühstückstisch und warteten. Ich entschuldigte mich für die
Verspätung, setzte mich auf meinen Platz und begann mir ein Brot zu bestreichen. Ich spürte den neugierigen Blick Marons rechts von mir im
Nacken und sah bewusst nicht zu ihr. Fragende Blicke kamen auch vom Anfang und Ende des langen Tisches im Portal. Am einen Ende saß
Tinduriel, am anderen Konstantin. In der Mitte saßen die auszubildenden Schülerinnen, welche nicht das fasten abgelegt hatten. Es waren
erstaunlich junge Mädchen, die dort genüsslich ihr Frühstück aßen und miteinander über ihren Unterricht sprachen.
Maron flüsterte mir leise
etwas ins Ohr:
„Wo warst du?“
Ich antwortete ihr mit Mundbewegungen („später“), dass ich es ihr später auf dem Zimmer erzählen würde,
wenn wir alleine waren.
Maron und ich beendeten immer zeitgleich unser Essen, da wir jedes Essen die gleiche menge zu uns nehmen und
dieses Mal hatte Maron extra auf mich gewartet. Wir stellten unsere Teller zusammen und fragten, ob wir schon aufstehen durften. Tinduriel
hatte noch den Mund voll und antwortete deshalb nicht gleich, dann sagte sie aber:
„Nein, ihr wartet bis alle fertig mit dem Essen sind.
“
Ich ließ mich zurück auf meinen Stuhl sinken und tauschte einen vielsagenden Blick mit Maron aus, den wir uns bereits zugelegt hatten,
wenn etwas nicht unseren Wünschen entsprach.
Schließlich, nach endlich 15 Minuten, durften wir uns fortbewegen. So schnell wie noch nie
rasten wir aus dem Portal in unser Gemach und ich erzählte Maron von dem, was ich erlebt hatte. Sie schien nicht besonders erstaunt zu sein,
da sie nur sagte „Ach so...“
Ich wartete, ob noch der springende Punkt bei ihr kam, aber er kam nicht und letztendlich wurde ich unruhig.
Maron erklärte mir:
„Es ist nicht wunderlich, dass du Julius kennen gelernt hast, schließlich wohnt er hier. Er wird dir bei deiner Ausbildung
wahrscheinlich eine große Hilfe sein, da du noch sehr unwissend bist und im Nachteil bist, da meine Mutter die Herrin ist.“
Maron sprach oft
in solch eingebildetem Ton, aber nur wenn es um ihre Mutter ging. Ich fragte mich, ob sie sich damit etwas nicht anmerken lassen wollte! Es
machte mir aber nicht besonders viel aus, da ich sie fast liebte wie eine eigene Schwester - wie ich meine eigenen Schwestern nie geliebt habe.
Ich hatte drei Schwestern und alle waren mir nicht so nahe wie Maron.
Als ich mich von meinem Schreibtisch, der neben dem von Maron
stand mit jeweils zwei Petroleumlampen und vielen Kerzen, Tinte und Federn, und natürlich Papier, abwendete und auf mein Bett blickte,
bemerkte ich Kleiderstücke. Ich hatte sie beim Hineingehen nicht bemerkt, da ich so aufgeregt war. Ich warf Maron einen fragenden Blick zu, die
mal wieder zu schmunzeln begann und hob die Kleider ins Tageslicht. Es waren wunderschöne Gewänder, die auf meine Größe geschneidert
wurden. Eines war himmelblau und hatte eine sehr breite braune Schärpe, die vorne zusammengebunden war und von künstlichen Blumen
umzingelt wurde. An den Ärmeln und am Kragen des Kleides war jeweils brauner Stoff, welcher von kunstvollen Perlen umstrickt wurde. Der
Saum am Fuße des Kleides hatte einen glitzernden Effekt, als ob ein Wasserfall es betupfte.
Ein anderes Kleid war blutrot, und ging mir bis
zu den Versen. An den Ärmeln und an der Brust des Kleides war es gekräuselt und wurde fiel bis zur Mitte hin in eine ovale Stickerei. Noch ein
weiteres Kleid fiel mir sofort in die Augen, als ich es betrachtete: Ein weißes Leinenkleid, welches in weite Spitzenärmel an den Armen
überging. Um die Hüfte erstreckten sich goldene Perlen, handbreit und fuhren zusammen in der Mitte des Kleides hinunter. Diese Stickerei war
auch am Kragen zu sehen, der ein grobes Dreieck bildete. Sprachlos sah ich mir noch weitere prachtvolle Gewänder an. Schwarz, Dunkelblau,
ungefärbte Wolle, Beige, Rosa, Silber - Grau, wässrige Farben. Auch Umhänge und Schultertücher in allen prunkvollen Farben lagen geordnet auf
meinem Bett.
Immer noch schmunzelnd sah Maron aus, als wäre die Sonne heute zum ersten mal aufgegangen. Ich blickte ihr in die Augen
und musste auch lachen. Wir lachten beide so herzhaft und lange, dass Tinduriel schließlich ins Zimmer kam - jäh verstummten wir!
Wir
setzten die ernsteste Miene auf, die wir in solch einer Situation darbringen konnten und stellten uns Schulter an Schulter mit durchgestrecktem
Körper in Befehlsform vor die Herrin. Sie schaute uns mit einem Stirnrunzeln an, erblickte dann die Kleider und zog allwissend die Augenbrauen
hoch. Um das Schweigen zu brechen fragte sie:
„Gefallen sie dir? Probier mal an, ob sie dir auch passen!“
Auf die Fragen antwortete
ich:
„Ja, und wie sie mir gefallen. Sie sind umwerfend und wunderschön. Solche Pracht habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht am
Körper gespürt. Ich bin mir sicher, dass sie mir passen werden. Aber ich kann gerne eines anprobieren, wenn du das möchtest.“
Ich redete
das nicht nur so daher, sondern meinte es auch wirklich ernst. Ich fühlte mich geehrt und auch ein wenig beschämt, dass ich solche Pracht
geschenkt bekommen habe. Ehe sie ging, sagte Tinduriel noch:
„Wenn du die Kleider dann an hast, gehe vorsichtig damit um. Reite nur in
den Reitkleidern, lehre nur in den Lehrkleidern und hause nur in den Hauskleidern....Ich habe gehört, du hast die Bekanntschaft mit Julius
gemacht (Ich nickte mit dem Kopf). Das freut mich. Er ist unser Gelehrter und kennt sich in Sachen Geschichte, Histographie oder Ähnlichem gut
aus!“
Als Tinduriel hinaus gegangen war, probierte ich sofort alle Kleider an. Auch Maron hatte neue Gewänder bekommen, was für sie immer
wieder aufs Neue faszinierend war. Die Schneiderinnen im Haus mussten wahrlich gesegnet sein, mit solchem Händegeschick geboren worden
sein.
Bei mir passten alle Kleider und Umhänge. Bei Maron war ein Ritualsgewand zu kurz lang geraten. Ich entschied mich für ein Kleid
und zog es dann an. Maron kleidete sich ebenfalls schnell um, wir machten uns die Haare und gingen dann zu Tinduriel mit dem Kleid. Sie
beäugte eher uns als das zu lang gewordene Kleid und sagte dann:
„Perfekt! Ihr seht wirklich schon aus wie zwei Priesterinnen!
“
Geschmeichelt durch dieses wahrhaft große Kompliment machten wir uns auf ihren Befehl hin auf den Weg zu den Schneiderräumen, die im
dritten Obergeschoss waren.
Angekommen gaben wir Lydia, die sogenannte „Oberschneiderin“ das Kleid zum Ändern und gingen dann hinaus
an die frische Luft. Draußen waren gerade einige Frauen dabei, das Namensschild wieder anzubringen. Maron hatte erzählt, dass die Schrift
kaum leserlich mehr war und es erneuert wurde. Jetzt blühte es in frischen Farben vor dem Schutztor und gab den Namen „Atlantium“, der Name
des Hauses, wo ich nun bald zur Priesterin von Atlantium ausgebildet werden sollte.
In den folgenden Tagen versuchte, ich mir nicht
anmerken zu lassen, wie aufgeregt ich war. Es wunderte mich nicht, dass es niemand wusste und ich konnte es auch nicht groß erwarten.
Jedoch freute ich mich, meinen fünfzehnten Geburtstag in Gesellschaft meiner liebsten Menschen zu bewissen und nicht in Berlin, bei meiner
„Familie“...
Als dann der 27. Juni schließlich anbrach und ich bereits am Frühstückstisch wie jeden Morgen saß, spürte ich keine einzige
Anspannung, welche die Gesichter vielleicht verraten könnten. Es war so wie jeden Morgen. Maron und ich saßen in unseren Kleidern aus
ungefärbter Wolle und aßen wie immer die gleiche Menge und in der gleichen Zeit. Ich hatte mir doch vorgenommen, mich nicht zu ärgern und
trotzdem stieg die Enttäuschung in mir auf, die ich die ganzen Tage lang unterdrücken konnte.
Es war mein letzter Probetag auf Atlantium
und ich wollte auch diese Prüfung bestehen: Beherrschung! Es war eher eine Prüfung für mich selbst und somit wartete ich bis wir fertig
gegessen hatten und seilte mich dann von den Übrigen ab, um etwas an die frische Luft zu gehen. In Wahrheit jedoch suchte ich die Einsamkeit
der Natur, nahm das nächstbeste Pferd und ritt im schnellsten Galopp durch den Wald. Ich hatte gesehen, wie Maron mich durch das Fenster
beobachtete, also brauchte ich mich nicht zu fürchten, dass sie sich Sorgen machen würden. Ich ritt immer tiefer in den Wald, bis ich schließlich
anhielt und mich auf einen Baumstumpf setzte, während das Pferd am Rande des Weges ein Paar Blätter fraß....
So hatte mein Geburtstag
nicht in meinen Träumen ausgesehen. Aber ich war ja auch selber Schuld: Im Tolkien Forum hatte ich meinen Geburtstag aus dem Kalender
gelöscht, niemandem gesagt, wann ich Geburtstag hatte und das alles nur, weil ich in einer kurzen Zeit in meinem Pessimismus versunken war.
Ich nahm ein paar von den Steinen in die Hand, die grau in der Mittagssonne schimmerten, und warf sie in Reichweite von mir weg. Schlecht
gelaunt betrachtete ich die bunten Farben, die von der Sonne und dem Tau entstanden waren. Gerade wollte ich zurück reiten, als ich ein
Geräusch hinter mir hörte. Blitzschnell war ich umgedreht und blickte einem gutaussehendem, dunkelhaarigem Fremden in die Augen. Ich
erinnerte mich schmunzelnd an die Begegnung mit Julius - der Junge interpretierte meinen Gesichtsausdruck völlig falsch und fing an zu lachen.
Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch und schaute ihn fragend an. Da der Fremde anscheinend auf die Vorstellung von mir wartete, machte ich
mich daran auf das Pferd zu steigen. Ich vernahm eine männliche aber noch junge Stimme, die besagte:
„Du hast ein schönes Pferd und
deinen Kleidern zu Urteilen kommst du aus Atlantium?“
Ich beantwortete seine Frage mit Ja und stellte mich höflicher Weise vor.
Anschließend machte ich auch seine Bekanntschaft:
„Mein Name ist Timo, bzw. Elvellon!“
Mir verschlug es fast die Sprache. War er es
wirklich oder verwechselte ich ihn? War es Zufall? Nein, es war kein Irrtum! Er war es!
„Elvellon!“, rief ich aufgeregt, „Aus Galadwens Tolkien
Forum, nicht wahr?“
Verwundert blickte er mich an und fragte, woher ich das wisse.
„Ich bin Earendil, Elvi!“ So hatte ich ihn immer des
Spaßes bei genannt!
Grinsend, immer noch etwas verwirrt sagte er mir, dass Galadwen, die Besitzerin des Forums und Agarwaen, der
Supermoderater, ebenfalls auf Borkum lebten. Nun war ich jene, die verwundert drein schaute. Immer noch grinsend stellte er fest, dass ich
bereits die Bekanntschaft mit Tin (so lautete die Abkürzung von Tinduriel) und Maron gemacht hatte. Ich nickte und ging noch ein wenig zu Fuß
mit ihm. Während dessen erzählte ich Elvellon, wie ich hier, nach Ostfriesland kam und was ich hier sichte. Er war ziemlich überrascht, dass ich,
vor kurzer Zeit noch eine Verteidigerin des Christentums, nun eine Priesterin und Untertan der Göttin war. Ich konnte seine Verwunderung mehr
als genug verstehen und verstand mich überhaupt immer nur prima mit ihm. Er half mir in Schwierigkeiten und ich holte ihn aus bekömmlichen
Lagen wieder heraus. Während er im Forum vorgab mit Kruemel ein Paar zu sein, war er eigentlich mit Maron zusammen, denn mit Kruemel war
er zerstritten, doch inwiefern wusste ich nicht.
Er sprach so fröhlich und ich war glücklich, doch nicht ganz trostlos an meinem Geburtstag zu
sein. Doch dann blieb er mit weit auf gerissenen Augen stehen und rief:
„Du hast ja heute Geburtstag! Der 27. Juni! Dein Fünfzehnter
Geburtstag! Und ich wusste es nicht, meine Güte...alles Gute zum Geburtstag, Clärchen!“
Er umarmte mich und ich erwiderte die Umarmung
nur all zu gern, schließlich waren wir schon mehrere Jahre über das Internet befreundet und nun lernten wir uns endlich persönlich kennen! An
der Abzweigung, welche eine zurück zu Atlantium ging, verabschiedeten wir uns. Er versprach, dass wir uns sehr bald wieder sehen würden. Ich
stieg auf den braunen Hengst und ritt zurück, gleichgültig, ob sie nun wussten, dass ich Geburtstag hatte oder nicht. Ich habe Elvellon endlich
persönlich kennen gelernt! Aber was freue ich mich so darüber? Er war doch mit Maron zusammen, aber irgendwie habe ich dieses komische
Gefühl der Eifersucht in mir...
Konnte ich mich wahrlich verlieben? Wusste ich denn überhaupt zu jener Zeit was Liebe bedeutete? Ich
beschäftigte mich noch sehr lange mit solchen Fragen, während ich in das Zimmer von Maron und mir ging. Ich wusch mich mit dem Wasser ab,
was Elena, unsere persönliche Dienerin, gerade frisch herein gebracht hatte und wusch mir das Gesicht. Anschließend kleidete ich mich in mein
himmelblaues Feengewand und kämmte mir die hüftlangen Haare neu, die sich bereits aus dem Zopf gelöst hatten. Ich flocht mir einen Neuen
und steckte ihn mit einer Spange hoch. Ein letzter Blick in den Spiegel und auf die Sonne - es war bereits Nachmittag - und ich war bereit für
das Mittagessen.
Unten war noch niemand versammelt, was mich nicht wunderte, da ich etwas zu früh gekommen war. Ich suchte Tinduriel
auf und fragte sie, ob ich Julius besuchen durfte. Sie machte mich darauf aufmerksam, dass gleich Mittagessen sei und ich mich beeilen sollte.
Also flitzte ich in die Außentür, die Steintreppe hinab und wurde von einem fröhlichen Gebell begrüßt. Auch Julius freute sich über meinen
Besuch und ich übergab ihm die mitgebrachten Blumen, die ich frühmorgens bereits gepflückt hatte, für Eldros hatte ich einen Keks mitgebracht,
von dem ich wusste, dass er von Hunden geliebt wurde - ganz besonders von Eldros! Ich setzte mich zu dem alten Mann und nahm das
kühlende Wasser dankend entgegen. Der kleine Hund sprang auf meinen Schoß und hätte fast mein Gewand zerrissen, als ich mit Schrecken
aufspringen wollte. Ich lachte und streichelte ihn. Dann begann ich dem Gelehrten zu berichten, was mir heute widerfahren war. Als ich geendet
hatte, schaute er mich wohl wissend an und stand auf. Ich schaute ihm hinter her und er ging zu seinem Schreibtisch, zog die Schublade heraus
und holte eine alte Schatulle heraus. Ich fragte mich, was da wohl drin sein sollte und wurde nur kurz darauf belehrt, als er damit zurück
kam.
Julius übergab mir die längliche, rote Schachtel, die ich etwas zögernd und verlegen annahm. Als ich es öffnete, war ich so überwältigt,
dass ich sprachlos war und mir doch tatsächlich ungewollt Tränen aus den Augen quollen. Eldros gab ein jaulendes Geräusch von sich und ich
musste lachen, während ich das Taschentuch von Julius nahm und mir die Augen trocknete. Er nahm die silberne Kette heraus und legte sie um
meinen Hals. In dem Spiegel an der Wand betrachtete ich stolz den Mondstein, der das Sonnenlicht wieder spiegelte und Wasserfarben in sich
zu tragen schien. Ich umarmte den alten Mann und dankte ihm. Er erzählte mir, dass der Stein seiner Tochter gehört hatte, die vom
Sternzeichen ebenfalls Krebs war und durch den Mondstein sich positiv veränderte und nur Entscheidungen von ganzem Herzen traf. Mit einem
letzten Dank verabschiedete mich und ging hinauf zum Essen.
Dieses Mal war ich zum Glück nicht die Letzte, die an den Tisch kam, denn es
kamen von allen Seiten noch Jungfrauen und Schülerinnen, die sich erst gemütlich hinsetzten. Ich setzte mich neben Maron und schenkte mir
ein kaltes Glas Wasser ein, während ich merkte, dass ich immer noch die Schachtel in der Hand hielt. Maron blickte mich an und ich versteckte
sie schnell unter dem Schleier meines Gewands. Sollte sie ruhig denken, dass ich Geheimnisse vor ihr habe. Wenigstens denken andere an
meinen Geburtstag...
Als sich Tin und Kon (so nannte Tinduriel manchmal ihren Gemahl) auch dazu bewegten an Tisch zu kommen, begannen
wir mit dem ersten Durchgang. Es war Freitag, nach der zivilisierten Zeitrechnung, und an diesem Wochentag gab es immer drei Essgänge. Ich
hatte überhaupt keinen Hunger, blickte jedoch selbstbewußt zu Tinduriel, die mich mit einem undeutlichen Blick anschaute. Es war klar, dass
sie böse mit mir war, weil ich unangekündigt das Haus verlassen hatte und es war auch klar, dass Maron mit mir böse sein würde, weil ich nicht
zusammen mit ihr war.
Die Sonne neigte sich langsam dem Westen zu, doch der Mond war noch nicht zu sehen. Die neblige Sicht und
stickige Luft machten es sehr unbequem in dem Atrium von Tinduriel. Sie hatte mich hergebeten, um mit mir reden zu wollen. Ich konnte mir
gut vorstellen, worüber und beschloss selbstsicher aufzutreten, doch mit der zeit kam die Ungeduld. Mittlerweile war es schon eine viertel
Stunde, als Elena, unsere Dienerin, Maron und mich aus unserem Schweigen gebrochen hatte und ich zu Tinduriel hinunter gegangen war. Ich
wollte gerade von dem Fenstersims klettern, um Elena aufzusuchen, da ging die Tür plötzlich auf. Ich drehte mich abrupt um und erblickte in
der Terrassentür Elvellon...Ihm, wie auch mir, stand pures Entsetzen im Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was er hier zu suchen hatte oder was
er hier wollte. Bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, ging die Zimmertür auf und natürlich kam Tinduriel hinein. Fast genauso perplex
wie wir, sah sie zuerst Elvellon an, der halb auf der Schwelle stand und halb draußen im Nebel verborgen. Dann blickte sie in mein verwirrtes
Gesicht. Ich erwiderte ihren Blick und blieb standhaft. Elvellon musste die Spannung zwischen uns gespürt haben, denn er räusperte sich und
Tinduriel bat ihn herein. Ich wunderte mich, denn außer einem Familienmitglied hatte vorher noch nie eine männliche Gestalt Atlantium
betreten. Wir setzten uns an den runden dunkelbraunen Tisch mit einer seidenen Tischdecke und einer vergoldeten Kerze. Tinduriel begann zu
reden:
„Eigentlich hatte ich vor mit Clara alleine zu reden, aber da du ja sehr plötzlich eingetroffen bist, Timo, kannst du jetzt auch bleiben.
Ich habe von eurer Begegnung inzwischen mitbekommen... und du hättest mir ruhig davon erzählen können, Clara. Glaubst du denn wirklich, wir
hätten deinen Geburtstag vergessen oder wüssten nicht, dass du, Krebslein, dir nichts sehnlichster wünscht, als eine richtige Familie zu
haben?“
Demeter stockte und blickte mich so eindringlich an, dass ich das Gefühl hatte, sie könnte die Schmerzen auf meiner Seele lesen.
Ich schluckte und sah auf meine Knie, da ich bemerkte, dass meine Augen sich mit Wasser füllten. Ich spürte die warme Luft, die von der
Terrasse in das runde Zimmer flog und fühlte mich zu Hause, doch in meiner Haut unwohl. Die Gardinen wogen leicht in der Sommerbrise des
Windes hin und her und von draußen hörte man Vögel zwitschern. Trotz der Späte, wärmten die letzten Sonnenstrahlen meine Wangen und ich
schloss für kurz die Augen, um diesen Moment zu genießen. Als ich die Augen wieder öffnete und dem Blick der Herrin von Atlantium
begegnete, fing ich an zu sprechen:
„Es tut mir Leid, Tinduriel. Ich hätte dir davon berichten sollen und auch, dass ich anschließend bei
Julius war. Er schenkte mir diese Halskette.“, fügte ich hinzu und zeigte ihnen den Mondstein an meinem Hals. „Ich war die ganze Zeit über so
froh, hier sein zu dürfen, da habe ich fast selber meinen Geburtstag vergessen. Doch in den vorherigen Tagen fiel es mir auf und dann
gratulierte mir Elvellon zum Geburtstag, Julius schenkte mir etwas und ihr wusstet von gar nichts. Das hat mich mehr verletzt, als ich mir selber
gestehen wollte.“
Ich atmete tief durch, stand von dem Stuhl auf und ging an die geöffnete Terrassentür. Ich spürte die Blicke der hinter mir
sitzenden Personen in meinem Nacken und drehte mich bewusst nicht um. Schließlich ergriff auch Elvellon das Wort:
„Ich denke nicht, dass
es hier noch viel bringen wird, wenn wir uns gegenseitig anstarren. Es tut mir Leid, dass ich so herein geplatzt bin, Tin, aber ich wollte
eigentlich zu Maron!“
Blitzartig drehte ich mich ihm zu und traf seinem Blick. Ich versuchte etwas zu sagen, doch es gelang mir nicht. Anstatt
dessen sah ich mit wässrigen Augen auf den marmorierten Fußboden mit Bodenheizung, welche im Sommer nicht funktionierte, und gestand mir
selber, mehr für diesen Fremden zu empfinden, als ich es gewohnt war. Wir kennen uns nur über das Internet. Ich kann mich doch nicht in so
kurzer Zeit in jemanden verlieben, obwohl ich ihn das erste Mal gesehen habe...Er liebt Maron...ich habe da nicht dazwischen zu funken!
Und
doch spürte ich die rasende Eifersucht in mir aufsteigen und bot ihm an, Maron hinunter zu holen. Etwas zögernd, als würde er etwas gemerkt
haben, bedankte er sich und wartete auf der äußeren Terrasse neben den Staturen der alten Elgerer. Jene waren die sogenannten Vorfahren
Atlantiums und gründeten die Art von Lehrschule, welche Tinduriels Vorfahren hier in Borkum gegründet hatten.
Auf dem Weg in unser
Gemach überlegte ich, wie ich Maron von Elvellons Besuch unterrichten wollte. Ich entschied mich für die spontane Art und öffnete die
Zimmertür. Ich erschrak, als ich sah, was ich nicht sehen wollte, weil ich wusste, dass es kommen würde.
Maron weinte! Sie weinte so sehr,
dass ich glaubte, sie würde sich ihr ganzen Wassergehalt aus dem Körper ausheulen. Als sie mich bemerkte, warf sie sich an meine Schulter
und brachte unter Schluchzen hervor:
„Ich weiß nicht... wie ich... es ihm sagen ... soll....ich kann nicht....mit ihm...zusammen sein...ich habe
das Gelübde...der...Jungfräulichkeit...abgelegt!“
Ich wunderte mich, dass ich mich nicht darüber erschrak, doch ich spürte die Angst, die von
Maron ausging und hielt sie fest, ...ganz fest...
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"Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
--- Reinhold Niebuhr---
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30.08.2007 20:02 |
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Earendil
Spam-Queen-Moderatorin
Dabei seit: 16.04.2007
Beiträge: 4655
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03.09.2008 17:27 |
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